Die Laufleistungen der Dinosaurier

 

Anhand des Studiums des Skeletts fossiler Tiere können wesentliche Aussagen zur Körperhaltung und Fortbewegung der betreffenden Organismen gemacht werden. Leicht gebaute, bipede Tiere mit langen, schlanken Hinterextremitäten konnten mit Sicherheit bedeutend schneller laufen als massige Vierbeiner, deren stämmige Gliedmaßen als Stützpfeiler des riesigen Körpers dienten. Aber wie schnell ist "schnell"? Gibt es eine Möglichkeit die Geschwindigkeit fossiler Tiere zu berechnen?

Ausgehend von Beobachtungen und Vergleichsuntersuchungen an lebenden Tetrapoden, lassen sich mathematische Beziehungen zwischen den gegebenen anatomischen Besonderheiten und den daraus resultierenden möglichen Laufleistungen ableiten. Eine besondere Rolle spielen hierbei Analysen an rezenten Vögeln und Säugetieren, da deren Bewegungsapparat anatomisch und funktionell mit dem der Dinosaurier vergleichbar ist. Dies kommt unter anderem in der vollaufgerichteten Beinstellung, in der Bipedie einiger Vertreter und in den ähnlichen Lebensformtypen der Dinosaurier (elefantenähnliche Sauropoden, straußengleiche Coelurosaurier und an Nashörner erinnernde Ceratopier) zum Ausdruck.

Robert Mc Neill Alexander (1976, 1977) gibt eine Formel an, die die Berechnung von Laufleistungen ermöglicht:

 

v = 0,25 g0,5 S1,67 H-1,17

 

Dabei bedeuten: v Geschwindigkeit

g Beschleunigung des freien Falls; g = 9,81 m/s2

S Stridelänge (Doppelschrittlänge)

H Länge der Hinterextremität (Höhe des Hüftgelenks)

 

Das Ausmaß der Hintergliedmaßen H läßt sich problemlos anhand der vorliegenden fossilen Skelette ermitteln. Dazu wird die Länge von Femur, Tibia, längstem Metatarsale addiert, zuzüglich 9 % u.a. für Gelenkknochen, Bindegewebe an Knie- und Fußgelenk sowie an der Sohle.

Problematisch ist allerdings die Angabe der doppelten Schrittlänge (Stridelänge), der Distanz, welche durch die einmalige Vorwärtsbewegung beider Beine überwunden wird. Sie kann nicht direkt aus dem Skelett abgeleitet werden, ist aber abhängig von der möglichen Gangart, von der Schrittfrequenz, vom Gewicht des betreffenden Tieres und bei quadrupeden Formen natürlich auch von der Vorderbeinlänge.

Die Geschwindigkeit, die ein Tier beim Laufen erreicht, wird deutlich von der jeweilig benutzten Gangart bestimmt. Als wichtigste Gangarten sind Gehen, Traben (Trotten) und Rennen (Galopp) zu nennen. Nach Alexander und R.A. Thulborn (1982) gibt bei Säugetieren und in Analogie dazu auch bei den Dinosauriern das Verhältnis von Stridelänge zur Länge der Hinterextremität (welches auch als relative Stridelänge bezeichnet wird) einen Hinweis auf die betreffende Gangart. So werden für das langsame Gehen Werte von S/H unterhalb 2,0, für das beschleunigte Trotten Werte innerhalb 2,0 bis 2,9 und schließlich für das schnelle Rennen Werte oberhalb 2,9 angegeben. Da die Länge der Hinterextremität stets gleich bleibt, folgt eine Erhöhung der Geschwindigkeit aus einer Zunahme der Doppelschrittlänge.

Es lassen sich für die einzelnen Dinosauriergruppen die sogenannten kritischen Geschwindigkeiten berechnen, bei denen der Übergang von einer Gangart zur nächsten erfolgt. Dabei werden die ungleichen Beziehungen zwischen Körpergröße, Gangart und Geschwindigkeit berücksichtigt. Immerhin müßte, um eine Geschwindigkeit von 12 km/h zu erreichen, beispielsweise ein kleinerer Coelurosaurier wie der Compsognathus bereits rennen, während ein riesiger Carnosaurier wie der Tyrannosaurus noch fast normal geht, da er auf Grund seiner längeren Hinterextremitäten einfach viel größere Schritte macht.

Ausgehend von dem Erfahrungswert, daß beim Wechsel vom Gehen zum Traben die Stridelänge der doppelten Länge der Hintergliedmaßen (S = 2 H; S/H < 2,0) entspricht, gibt Thulborn eine vereinfachte Gleichung zur Bestimmung der kritischen Geschwindigkeit dieses Übergangs an:

v = 6,12 H

 

Ähnlich geht er beim Übergang vom Traben zum Rennen vor. Hier beträgt allerdings die Doppelschrittlänge das 2,9-fache der Hinterextremitätenlänge (S = 2,9 H; S/H > 2,9). Mit diesen Formeln berechnet Thulborn die kritischen Geschwindigkeiten beider Übergänge, welche in Tabelle 2.2/2 ausgewiesen sind.

Körperbau und Gewicht der Dinosaurier bestimmten, welche Gangarten überhaupt möglich waren. Bei den leichtgewichtigen Vertretern, d.h. den Coelurosauriern und den kleineren Ornithopoden, werden diesbezüglich keine Einschränkungen zu erwarten sein. Sie konnten zwischen den ihnen zur Verfügung stehenden Gangarten, Gehen, Traben und Rennen, frei wählen und so ihre Lokomotionsform optimal den Erfordernissen der gegebenen Situation anpassen. Demgegenüber scheinen die Riesenformen auf Grund ihreres größeren Körpergewichtes bestimmten Restriktionen unterworfen gewesen zu sein. Sie erreichten wohl nur den Übergang Gehen/Trotten, maximal vielleicht mittlere Trabgeschwindigkeiten. Der Wert des Rennens war für alle großen Dinosaurier praktisch nicht erreichbar. Bei den meisten quadrupeden Formen verringerte sich die Geschwindigkeit zusätzlich durch die recht kurzen Vordergliedmaßen, deren Länge V anstelle der der Hinterbeine H in die Alexander-Formel zur Berechnung der Laufleistung eingehen muß.

Das optimale Gewicht für das Erreichen von Spitzengeschwindigkeiten wird nach Walter P. Coombs (1978) mit 50 kg angegeben. Geparden, Antilopen und Gazellen, welche mit ihrer Körpermasse in diesem Bereich liegen, erreichen über eine kurze Zeit eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 100 km/h. Damit zählen sie zu den schnellsten Landtieren. Dem kommen am ehesten kleine, kursorische Theropoden und Ornithopoden nahe. Dennoch waren sie nach Coombs nicht ganz so schnell wie vergleichbare rezente Tiere (z.B. Känguruh und Strauß), da, bedingt durch den langen Schwanz der Dinosaurier, enorme Einschränkungen der Beweglichkeit gegenüber modernen Säugern und Vögeln zu erwarten wären. Der Schwanz diente jedoch oft dem Ansatz kräftiger, beinbewegender Muskeln, wurde dynamisch nach oben gehalten und als Balancierorgan genutzt. Bei Deinonychus, Hypsilophodon und anderen steigerte er, wie wir gesehen haben, sogar die Wendigkeit der flinken Tiere.

Weiterhin bestimmt die Anzahl der Doppelschritte (Strides) in der Sekunde, die Schrittfrequenz (Kadenz), die erreichbaren Geschwindigkeiten. Nach Alexander hängt die maximale Schrittfrequenz fmax. bei kursorischen Formen zunächst einmal vom Körpergewicht m ab und folgt der Gleichung:

fmax. = 6,9 m-0,18

 

Darüber hinaus besitzt aber auch die Länge der Hinterbeine H einen Einfluß, der durch folgende Beziehung beschrieben wird:

fmax. = 3,0 H-0,63

 

Nach Thulborn sollte jedoch die maximal mögliche Kadenz auf 5 Stride pro Sekunde begrenzt werden, da höhere Werte kaum realisierbar erscheinen. Mit diesen Kenntnissen ausgerüstet, ist es möglich für Coelurosaurier und kleinere Ornithopoden die Maximalgeschwindigkeit nach der vereinfachten Formel zu berechnen:

v = f ´ S

 

Eine Zusammenstellung der von Thulborn (1982) berechneten Maximalgeschwindigkeiten für kursorische sowie auch eher graviportale Dinosaurier gibt die Tabelle 2.2/3. An dieser Stelle sollen nur die allgemeinen Richtwerte für die Höchstgeschwindigkeiten der wichtigsten Dinosauriergruppen angeführt werden: Innerhalb der Coelurosaurier und der Deinonychosaurier erreichten die kleineren Formen, wie beispielsweise Compsognathus, 16 bis 26 km/h, größere Vertreter, wie Ornithomimus, dagegen 35 bis 45 km/h. Kleine Ornithopoden, wie Hypsilophodon, liefen mit maximalen Geschwindigkeiten von 20 bis 35 km/h; große und massige Carnosaurier und Ornithopoden, wie z.B. Tyrannosaurus oder Iguanodon, mit 15 bis 25 km/h. Den quadrupeden Sauropoden, Ankylosauriern und Stegosauriern werden Geschwindigkeiten von 7 bis 17 km/h, den Prosauropoden von 6 bis 22 km/h und den Ceratopiern von 14 bis 26 km/h eingeräumt. Damit erreichen sie maximal den Übergang Gehen/Traben. Rennen wird für die quadrupeden Formen ausgeschlossen.

Die bereits angesprochene Problematik der Gewichtsbestimmung besitzt auch hier wieder einen entscheidenden Einfluß auf die Bestimmung von Laufleistungen der größeren Dinosaurier. Die Annahme niedriger Körpergewichte, beispielsweise für die Sauropoden, würde selbst höhere Trottgeschwindigkeiten wahrscheinlich machen, bei den Ceratopiern sogar Rennen, wie es Robert T. Bakker (1986, 1987) anhand des kräftigen Baus der Extremitäten in Analogie zu den heute lebenden Nashörnern annimmt.

Bakker (1975) selbst benutzt eine andere Gleichung zur Berechnung der Laufgeschwindigkeiten der Dinosaurier:

v = 4,132 (RH) - 14.

 

Als RH versteht er dabei die relative Länge der Hinterextremität, welche sich ergibt aus der Summe von Femur, Tibia, Tarsus und längstem Metatarsale, geteilt durch die dritte Wurzel der Körpermasse. Die nach dieser Beziehung bestimmten Werte liegen bedeutend höher als die von Thulborn. So gibt Bakker beispielsweise für Sauropoden (Brachiosaurus) 45 km/h, für Stegosaurus 58 km/h, für Tyrannosaurus 64 km/h, für Edmontosaurus 66 km/h, für Deinonychus 74 km/h und schließlich für Dromiceiomimus 97 km/h an. Diese Ergebnisse sind nach Coombs (1978) allerdings etwas zu hoch gegriffen.

 

Verläßlicher als die anhand von Skeletten berechneten theoretischen Werte für die Geschwindigkeiten der Dinosaurier sind Ergebnisse, die durch die Analyse von fossilen Fußspuren gewonnen wurden. Diese liefern direkte Hinweise auf bestimmte Aktivitäten ihrer Verursacher. Sie entstanden, indem sich die Unterflächen von Füßen und, bei quadrupeden Tieren, auch die von Händen in den weichen, oft schlammigen Untergrund, auf dem sich das sie erzeugende Individuum aufgehalten hatte, eindrückten. Um überliefert zu werden, mußten die frischen Spuren nun vor Zerstörung durch Erosion geschützt werden, am besten dadurch, daß sie möglichst schnell von einem anderen Material (z.B. herbeigewehter Sand) bedeckt wurden. Die abgelagerten Materialien verfestigten sich dann im Laufe von Jahrmillionen zu hartem Stein.

Für die Ermittlung von Laufleistungen der Fährtenverursacher nach der Alexander-Formel reichen einzelne Fußeindrücke nicht aus. Die Trittspur sollte mindestens aus einer Folge von drei Fußabdrücken bestehen. Nur so kann die Stridelänge S des Geläufs direkt bestimmt werden, welche dem Abstand zweier aufeinanderfolgender Abdrücke desselben Fußes entspricht.

Obwohl nun die Doppelschrittlänge bekannt ist, ist in diesem Fall die Länge der Hinterextremität H nicht verfügbar. Allerdings besteht nach Erfahrungswerten eine Abhängigkeit zwischen der Gliedmaßenlänge und der Fußlänge pl. So soll die Länge der Hinterbeine in etwa der vierfachen Fußlänge entsprechen. Es wird dabei jedoch mit der Länge des vollständigen Fußeindrucks gearbeitet, und nicht etwa mit der der vorhandenen Fußstruktur, welche infolge der verlängerten und nach oben führenden Mittelhand- bzw. fußknochen bei digitigraden Formen länger als der eigentliche Eindruck ist.

Einen Hinweis, ob das Tier langsam gelaufen, getrabt oder gerannt ist, gibt auch hier wieder das Verhältnis Stridelänge/Hinterextremitätenlänge S/H, wobei jedoch H von vielen Autoren durch die vierfache Fußlänge ersetzt wird. Damit gelten folgende Relationen für S/pl: Gehen unterhalb 8:1, Traben zwischen 8:1 und 11,5:1, Rennen oberhalb 11,5:1.

In der Regel liegen die Fährten großer Theropoden, Sauropoden und Ornithopoden im Bereich des normalen Gehens. Kleinere Theropoden und Ornithopoden überschreiten häufiger die Grenze zum Traben und auch zum Rennen, so ergibt sich beispielsweise für Anchisauripus bibractensis aus der Mitteltrias 13 : 1, für Saltopoides igalensis aus dem unteren Jura 21 : 1 und für Hopiichnus shingi sogar 36 : 1 sowie 40 : 1. Für Saltopoides konnte nach der Alexander-Formel eine Geschwindigkeit von 37,4 km/h berechnet werden. Samuel P. Welles (1971) gibt für die einem sehr frühen Ornithomimiden zurechenbare Fährte Hopiichnus aus dem unteren Jura der Kayenta-Formation des nördlichen Arizonas eine Spitzengeschwindigkeit von über 80 km/h an. Allerdings wird dieses Ergebnis von vielen Wissenschaftlern angezweifelt, da die Fußeindrücke extrem digitigrad sind und somit vermutlich nicht das normale Verhältnis zur Länge der Hintergliedmaßen widerspiegeln. Ein zu kurzer Fußeindruck hat zu niedrige Werte für die Hüfthöhe zur Folge. Da diese in der Alexander-Formel mit einer negativen Potenz eingeht, führt dies zu höheren Werten der resultierenden Geschwindigkeit. Wird die einzusetzende Fußlänge dagegen von 0,1 m auf 0,2 m verdoppelt, ergeben sich nur noch 37 km/h anstelle 82,5 km/h (Haubold, 1984).

Aus der unteren Kreide von Texas wurde die Carnosaurierfährte Irenesauripus beschrieben, deren etwa 450 kg schwerer Verursacher eine Geschwindigkeit von 42,8 km/h erreichte (Farlow, 1981). Die 100 m lange Sauropodenfährte Breviparopus aus dem Jura Marokkos wurde von dem gigantischen Tier in 31 Sekunden gelaufen, mit einer Geschwindigkeit von 11,6 km/h. Ein kleinerer, auf ein Körpergewicht von 2 t geschätzter Sauropode hinterließ über eine Länge von 60 m seine Spuren in Gesteinen des oberen Juras der südlichen Sahara bei Mont Arli, Republik Niger. Er erreichte dabei eine Geschwindigkeit von 20 km/h (Russel, 1980).

Häufig aber überschreiten die anhand von Fährten ermittelten Laufleistungen nicht 10 km/h. Die Fährten besitzen dabei eine konstante Schrittlänge und stammen in der Regel von langsam laufenden Individuen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da ja nur in Ausnahmefällen die Notwendigkeit zu beschleunigten Bewegungen besteht. Fährten widerspiegeln dagegen oftmals durchschnittliche Lebenssituationen, in denen ruhiges Gehen die vorherrschende Lokomotionsart gewesen ist (Bakker, 1987). Spuren von Tieren, die getrabt oder gar gerannt sind, wie beispielsweise die von Welles oder von Farlow beschriebenen, liegen deshalb auch nur selten fossil vor. Dennoch beweisen sie beachtliche Laufleistungen, die von einem höheren Aktivitätsniveau zeugen, welches vermutlich über einen längeren Zeitraum nur von homoiothermen Tieren erbracht werden kann.

 

Fossile Fährten geben Antworten auf Fragen nach bestimmten Lebensgewohnheiten der Dinosaurier. Wie verhielten sich die Schreckensechsen beispielsweise während eines Regengusses? Roland T. Bird (1985) interpretiert hierzu die Spur eines biped laufenden Ornithopodens (Anomoepus) aus dem unteren Jura des Connecticut River (Massachusetts, U.S.A.). Wie aus der Fährte hervorgeht, blieb der Verursacher, eventuell ein Scutellosaurus, unvermittelt stehen und kauerte sich für kurze Zeit auf den Boden, bevor er wieder aufstand und weiter lief. Offenbar schützte sich das Tier so vor einem einsetzenden Platzregen, dessen schwere Tropfen tiefe Eindrücke auf der gesamten Fährtenplatte hinterließen. Lediglich die Stelle, an der der kauernde Dinosaurier das Ende des Schauers abwartete, zeigt keine Regenspuren. Beim Weitermarsch machte sich das Tier wohl einen Spaß daraus, die entstandenen Regenpfützen zu zertrampeln (Abb.). Es kann wohl generell davon ausgegangen werden, daß sich biped laufende Dinosaurier zum Ausruhen hinhockten und dabei mit ihren Mittelfußknochen lange Abdrücke neben den kleineren Vorderfußspuren hinterließen (plantigrade Ruhestellung).