Die Beinstellung der Dinosaurier

 

Reptilartige oder säugerähnliche Beine? Anfang des 20. Jahrhunderts entbrannte eine heftige Kontroverse um die Beinstellung, d.h. um die Orientierung der Gliedmaßen am Körper der Dinosaurier. Zunächst hatte man die Skelette der riesigen nordamerikanischen Sauropoden wie zum Beispiel den Diplodocus longus im U.S. National Museum Washington so aufgestellt, daß der Rumpf auf den vier Beinen wie auf Säulen ruhte. Der lange Hals und der Schwanz zeigten gerade nach vorn bzw. nach hinten. Dieser Aufbau schien bei einigen der damaligen Bearbeiter einen unnatürlichen Eindruck zu hinterlassen, war er doch ganz und gar nicht reptilisch. Die uns bekannten rezenten Reptilien besitzen vom Körper seitlich abgespreizte Beine und liegen mit ihrem Bauch zum Teil auf dem Erdboden auf. Ihre Fortbewegung erfolgt durch mehr oder weniger ausgeprägte horizontale Schlängelbewegungen des gesamten Körpers unter Drehung auf den Gliedmaßen (Abb.). Nur wenige Arten heben beim Laufen ihren Körper höher vom Boden ab. So können zum Beispiel Krokodile kurzfristig auf halb gestreckten Beinen rennen.

Da man die Dinosaurier den Reptilien zugeordnet hatte, sollten nun auch die Extremitäten per Definition in der für Kriechtiere charakteristischen Weise angeordnet werden. Nach "sorgfältigen" Studien der Gelenkverbindungen erkannte der Berliner Anatom Gustav Tornier, daß die Gliedmaßen des Diplodocus, ähnlich wie es bei den Krokodilen der Fall ist, seitlich abstanden und der Körper zwischen ihnen durchhing. Auch die Halshaltung erfuhr eine erhebliche Abänderung. Der Hals wurde angeblich nicht nach vorn gestreckt, sondern sollte in einer schwanenhals ähnlichen s-förmigen Krümmung aufrecht gehalten worden sein. In einem kleinen Buch von 1915 heißt es dazu: "Vergleicht man beide Skelettrekonstruktionen, so ist es nicht schwer zu entscheiden, welcher Art der Aufstellung der Vorzug zu geben ist. Man bemerkt auf den ersten Blick, daß der Diplodocus nach der Berliner Rekonstruktion (nach Tornier, d.V.) ein lebensfähiges und bewegliches Geschöpf war, während er in der nordamerikanischen Rekonstruktion als eine unorganische Zusammenhäufung von Skeletteilen erscheint." Nach Oliver Hay (1910) konnten die mit derartigen echsenartigen Beinen ausgestatteten Sauropoden auch besser auf dem Boden der von ihnen bewohnten Moore und Sümpfe umherrutschen und würden nicht bei jedem Schritt mit ihren Füßen im Morast steckenbleiben.

Auf den widersinnigen Charakter derartiger Rekonstruktionen wies kurz darauf William .J. Holland (1848 bis 1932) hin: Bei der Rekonstruktion von Diplodocus als Spreizgänger hätten Bauch und Brustkorb tiefer als seine Füße gelegen. Infolge dessen benötigte das arme Tier einen ein bis zwei Meter tiefen Laufgraben, durch den es seinen Körper bei der Fortbewegung hätte ziehen müssen. Außerdem passten in dieser Lage die Ober- und Unterschenkelknochen nicht zusammen, und müßten vollkommen verrengt werden, um sie in eine solche Stellung zu bringen. Schließlich würden die seitwärts gerichteten oberen Gliedmaßenabschnitte (Femur und Humerus) keinen Halt in den Gelenkgruben der Extremitätengürtel finden können. Mit derartig ausgerenkten Gliedmaßen hätten die Sauropoden ein recht qualvolles Leben geführt und so war es wohl das Beste für sie, ihrem Erdendasein ein Ende zu setzen, sprich auszusterben.

Wie sah nun aber die Beinstellung der Sauropoden aus? Die Frage nach der Gliedmaßenanordnung ist nicht nur auf die Elefantenfußdinosaurier beschränkt, sondern bezieht sich auf alle Dinosaurier. Es soll uns zunächst vor allem die Anordnung der Hinterbeine interessieren, da diese prinzipiell den größten Anteil, bei den zweibeinigen Dinosauriern sogar das gesamte Körpergewicht zu tragen hatten.

Während man früher gern die Dinosaurier in einer reptiliengemäßen gespreizten Extremitätenhaltung rekonstruierte, wobei die proximalen (zum Körper gerichteten, oberen) Abschnitte der Gliedmaßen, Humerus und Femur, mehr oder weniger horizontal gehalten wurden, so geht man heute unwidersprochen von einer gestreckten Beinhaltung aus, wie sie von den rezenten Vögeln und Säugern bekannt ist. Die Extremitäten, insbesondere die hinteren, stehen dabei säulenförmig senkrecht unter dem Körper und stützten ihn direkt von unten her. Sie fingen so sein Gewicht in Richtung der Schwerkraft ab, und ermöglichten damit das Tragen enormer Lasten ohne Einschränkungen der Beweglichkeit an Land. Während der Fortbewegung bewegten sich die Gliedmaßen parallel zur Mittelachse des Körpers (in der parasagittalen Ebene), konnten ungehindert unter dem Leib schwingen. Die Vorderbeine wurden derart vorgeschwungen, daß die Ellenbögen nach hinten und nicht seitwärts nach außen gerichtet waren. Gleiches trifft für die Hinterbeine zu, nur daß diese in die entgegengesetzte Richtung bewegt wurden und folglich im Kniegelenk direkt nach vorn zeigten. Mit einer derartig aufgerichteten Beinanordnung waren ausholende, raumgreifende Schritte und damit schnelles Laufen auch bei höheren Körpergewichten möglich. Auch die rezenten Krokodile, die sich im allgemeinen langsam fortbewegen, gehen beim Rennen vorübergehend in eine halb erhobene Stellung über. Diese Aufrichtung verbraucht bei ihnen jedoch auf Grund der seitwärts abgespreizten Beine sehr viel Energie und kann deswegen nur auf einer kurzen Strecke vollzogen werden.

 

Anatomische Voraussertzungen. Die voll erhobene Beinstellung der Dinosaurier erfordert einen besonderen Bau der Gliedmaßenknochen und der Extremitätengürtel. Insbesondere der Beckengürtel mußte eine starre Verbindung mit der Wirbelsäule eingehen, um den riesigen Kräften der Beinmuskulatur Halt bieten zu können. Der dorsal gelegene Teil des Beckens, das Darmbein (Ilium), wurde über die kurzen, kräftigen Sacralrippen (mindestens drei pro Seite) fest mit der Wirbelsäule verbunden, und entwickelte sich zu einer ausgedehnten Knochenplatte, die den Extremitätenmuskeln genügend Ansatz gab. Zusammen mit den beiden anderen Beckenelementen, dem Schambein (Pubis) und dem Sitzbein (Ischium), bildet das Ilium eine Gelenkpfanne (Acetabulum), in der der Oberschenkelkopf artikuliert.

Das Hüftgelenk der Dinosaurier ist tief ausgehöhlt und seitlich orientiert. Der kugelförmige Femurkopf steht im rechten Winkel zum vertikalen Schaft des Oberschenkels und paßt somit genau in die Hüftgelenkspfanne hinein. Auf Grund des scharf nach innen abgewinkelten Gelenkkopfes und des lateral gelegenen Acetabulums stehen die Beine genau senkrecht unter dem Körper. Der Druck der Gliedmaßen auf die obere Kante der konkaven Hüftgelenkspfanne war sicherlich enorm und mußte vom Becken abgefangen werden. Zu diesem Zweck entwickelte sich genau an dieser Stelle ein besonders verdickter, massiver Knochenwulst, der dem Femur zusätzlichen Halt gab. Der Boden des Acetabulums, bei der Mehrzahl der Reptilien von Knochenmasse ausgefüllt, hatte nur geringe Kräfte abzufangen und wurde ganz reduziert. Bei den Dinosauriern und den von ihnen abstammenden Vögeln ist deshalb das Acetabulum durchbohrt (perforiert). Anhand des Vorhandenseins einer derartigen Öffnung im Hüftgelenk zieht man für gewöhnlich die Trennlinie zwischen den ersten Dinosauriern und deren Pseudosuchier-Vorfahren.

Untersuchungen an den Hüftgelenken von Dinosauriern zeigten deutlich, daß diese keine seitlich abgewinkelten Beine hatten, sondern ihre Gliedmaßen senkrecht unter dem Körper trugen. Den endgültigen Beweis für eine derart aufgerichtete Extremitätenhaltung erbrachten fossile Dinosaurierfußspuren, die eine sehr enge Spurbreite zeigen, ähnlich wie die Fährten von Vögeln und Säugetieren. Bei Spreizgängern hätte der Abstand zwischen den Beinen viel breiter ausfallen müssen, da die Füße nicht eng parallel, sondern weit auseinander bewegt werden.

 

Bipede Dinosaurier. Die Tatsache, daß einige Dinosaurier ausschließlich biped, d.h. lediglich auf zwei Beinen liefen, bestätigt außerdem die Richtigkeit einer voll aufgerichteten Gliedmaßenanordnung. Es gibt natürlich auch unter den heute lebenden Reptilien Formen, wie zum Beispiel die Kragenechse Clamydosaurus kingi, die Arten der Gattung Basiliscus u.a., die durchaus in der Lage sind, zweibeinig zu rennen. Diese Kriechtiere verfügen über eine typische abgewinkelte Extremitätenhaltung und laufen im Normalfall "auf allen Vieren" (quadruped). Lediglich während der Flucht bewegen sie sich für kurze Zeit biped auf den weit abgespreizten Hinterbeinen vorwärts. Ein richtiger Bipedläufer dagegen kann längere Zeit ohne Unterstützung der Vordergliedmaßen aufgerichtet langsam schreiten und gegebenenfalls sogar stillstehen. Um dies zu erlangen, muß ein Tier zumindest seine Hinterextremitäten direkt unter den Körper bringen und seine Schrittbreite verringern. Nur so ist es möglich, kraft- und energiesparend den Körper in Ruhestellung oder bei langsamer Bewegung vom Boden abzuheben und diese Lage über einen langen Zeitraum beizubehalten. Diesen Zustand haben nach heutiger Kenntnis alle Dinosaurier erreicht. John H. Ostrom (1969) geht sogar noch einen Schritt weiter: Echte Bipedläufer sind rezent nur unter den gleichwarmen Vögeln und Säugetieren zu finden. Und so kann es durchaus möglich sein, daß Homoiothermie eine wesentliche Voraussetzung für eine ausschließlich bipede Fortbewegungsweise ist. Da auch innerhalb der Dinosaurier Bipedläufer anzutreffen sind, wäre dies ein Argument für deren "Warmblütigkeit".

 

Das Fußgelenk. Neben den Dinosauriern und deren Vorläufern haben auch andere Gruppen der Thecodontier eine weitgehende vertikale Beinhaltung erreicht, jedoch auf eine gänzlich andere Art und Weise: Bei den Rauisuchiern war der Oberschenkelkopf nur leicht abgewinkelt und saß in einem geschlossenen Acetabulum, welches allerdings nicht seitlich orientiert war, sondern nach unten wies. Die vertikale Beinstellung brachte auch für diese Gruppe eine effizientere Fortbewegung an Land mit sich. Jedoch behielten die Rauisuchier, wie zum Beispiel Saurosuchus oder Postosuchus, den quadrupeden Gang - vielleicht fehlte ihnen die für die bipede Fortbewegungsweise notwendige Homoiothermie - und damit auch eine primitive Fußgelenkstruktur bei. Bei der Lokomotion mußten sie noch den gesamten Fuß aufsetzen; sie waren also typische Sohlengänger. Ein Vorwärtsschreiten schloß bei ihnen nach außen schwingende Bewegungen ein. Die Dinosaurier dagegen waren sämtlichst Zehengänger; der hintere Teil ihres Fußskelettes berührte den Erdboden nicht mehr. Sie setzten ihre Füße gerade nach vorn, ohne seitliche Drehungen. Ermöglicht wurde dies durch eine weitere Errungenschaft: Die Entwicklung eines mesotarsalen Fußgelenks (Intertarsalgelenk).

Der Tarsus, die Fußwurzel, besteht bei ursprünglichen Tetrapoden aus 12 Knochenelementen: die an die Unterschenkelknochen sich anschließenden proximalen Tarsalia (Tibiale, Intermedium und Fibulare), danach folgen die 4 Centralia und schließlich die 5 distalen Tarsalia, die den Übergang zum Mittelfuß (Metatarsus) bilden. Die Centralia und das letzte distale Tarsale neigen generell zur Reduktion und gehen teilweise verloren. Bei allen Amnioten vereinigt sich das Tibiale mit dem Intermedium und einem Centrale zu einem größeren Knochen, der gewöhnlich als Astragalus (Sprungbein) bezeichnet wird. Das Fibulare bleibt erhalten, wird dann jedoch Calcaneus (Fersenbein) genannt. An ihm entwickelt sich bei den Dinosauriern ein Sporn, der in eine Gelenkpfanne des Astragalus greift und somit beide fest miteinander verbindet. Seitliche Bewegungen werden dadurch ausgeschlossen. Zwischen den steil nach oben verlaufenden Mittelfußknochen (Metatarsalia) einerseits und der Astragalus-Calcaneus-Verbindung andererseits bildet sich nun das quer zur Längsachse der Hinterextremität gelegene mesotarsale Fußgelenk heraus. Es ist dem Fußgelenk der Vögel sehr ähnlich. Bei den Vögeln erfolgt allerdings eine stärkere Verschmelzung der beteiligten Elemente. Fersenbein und Sprungbein verschmelzen mit der Tibia zum sogenannten Tibiotarsus. Die distalen Tarsalia dagegen gehen eine enge Verbindung mit den oberen Enden der miteinander verwachsenen Metatarsalia ein, woraus das für die Vögel typische Laufbein (Tarsometatarsus) entsteht.

Das Fußgelenk der Dinosaurier und Vögel gestattet lediglich die Bewegung des Fußes in einer Ebene, vor und zurück. Bei dem primitiven Ornithischier Pisanosaurus aus der Oberen Trias der Ischigualasto Formation Argentiniens, von dem leider nur fragmentarisches Material u.a. vom Beckengürtel und den Hinterextremitäten bekannt ist, zeigt die Fußstruktur noch ein Übergangsstadium: Astragalus und Calcaneus waren noch nicht vollständig miteinander verbunden und ermöglichten noch eine leichte Auswärtsdrehung des Fußes. Spätere Dinosaurier zeigten die bereits erwähnte stärkere Knöchelverbindung zwischen Sprung- und Fersenbein, welche die Fortbewegung dieser Formen effizient unterstützte, da ein seitliches Wegrutschen des Fußes beim Abdrücken vom Boden verhindert wurde.

Diese gegenüber den Rauisuchiern verbesserte Fußstruktur brachte den fleischfressenden Dinosauriern gegen Ende der Trias möglicherweise den entscheidenden Vorteil im alltäglichen Kampf um's Überleben ein. Während der Zeit der mittleren und oberen Trias waren noch die 2 bis 5 m großen Rauisuchier die beherrschenden Fleischfresser; damalige carnivore Dinosaurier, wie beispielsweise Procompsognathus oder Liliensternus, blieben dagegen eher kleiner oder graziler. Auf Grund ihrer effizienteren Fortbewegung gelang es innerhalb kurzer Zeit jedoch den Theropoden, sich gegen die thecodonten Räuber erfolgreich durchzusetzen und diese von ihrer dominierenden Stellung zu verdrängen, so daß die Rauisuchier am Ende der Trias bzw. zu Beginn des Jura ausstarben.