Archaeopteryx - befiederter Saurier oder Vogel?

 

Entdeckungsgeschichte. Der geologisch älteste, sichere fossile Beleg für die Existenz befiederter Tiere wurde im Jahre 1860 in Gestalt des Abdruckes einer einzelnen, etwa 6 cm langen Feder aus den Solnhofener Lithographenschiefern, einem klassischen Fossilienfundgebiet in der südlichen Fränkischen Alb, erbracht (Abb.). Diese Gesteine entstanden vor etwa 150 Millionen Jahren zur Zeit des oberen Juras (Kimmeridge bis Portland) in einer relativ ruhigen, dauernd von Meereswasser bedeckten tropischen Lagune, an deren Grund regelmäßige Schichten feinkörnigen Kalkschlammes abgelagert wurden. Abgestorbene Tiere und Pflanzen bzw. Teile von ihnen wurden in die Kalkschichten eingebettet und blieben so der Nachwelt als Fossilien erhalten. Die Solnhofener Plattenkalke sind für den häufig hervorragenden Erhaltungszustand ihrer Fossilien weltbekannt. Und so verwundert es nicht, daß selbst derartig zarte Gebilde wie Federn als Abdruck erhalten geblieben sind.

Der 1860 im Solnhofener Gemeindesteinbruch gefundene Federabdruck wurde dem damals in Deutschland führenden Wirbeltierpaläontologen Hermann von Meyer (1801 bis 1869) zugesandt und von ihm ein Jahr später mit dem Namen Archaeopteryx lithographica (zu deutsch: Alter Flügel aus dem Lithographenschiefer) belegt. Zu dieser Zeit konnte in den gleichen Schichten das Skelett des zugehörigen befiederten Tieres geborgen werden. Es gelangte zunächst in die Hände des Pappenheimer Landarztes Karl F. Häberlein, der es kurz darauf für 700 Britische Pfund an das Londoner Naturgeschichtliche Museum verkaufte. Hier befindet es sich noch heute und wird unter strengen Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt. Es ist als ausgezeichneter Kunststoff-Abguß in der Ausstellung des Museums zu besichtigen. Nach seinem Aufenthaltsort wird dieser Archaeopteryx-Fund auch als Londoner Exemplar bezeichnet. Die Erstbeschreibung des Fossils oblag dem Direktor des Londoner Museums Sir Richard Owen im Jahre 1863. Es handelt sich um ein relativ aufgelöstes Skelett mit Abdrücken von Schwanz- und Armfedern.

Ein bedeutend besser erhaltenes Exemplar wurde im Jahre 1877 in der Nähe von Eichstätt entdeckt. Die Skelettelemente befinden sich bei diesem Fund noch in ihrem natürlichen Verband. Groß- und teilweise auch Kleingefieder sind als Abdrücke erhalten geblieben. Dieses Fundstück wurde für 140 Deutsche Mark von Ernst O. Häberlein, dem Sohn Karl F. Häberleins, erworben und zusammen mit einer Kollektion anderer Solnhofener Fossilien für 36 000 Mark dem Preußischen Staat zum Kauf angeboten. Zur ablehnenden Haltung Kaiser Wilhelms I. auf dieses Angebot bemerkte der Zoologe Carl Vogt (1878): "Seine Majestät haben sich auf diese Äußerung nicht eingelassen. Ja, wenn es sich statt um einen Vogel um ein versteinertes Geschütz oder Gewehr gehandelt hätte!" Durch einen Vorschuß des Industriellen Werner von Siemens konnte das Fossil schließlich für 20 000 Mark dennoch erworben und somit "für Deutschland gerettet" werden. Heute ist es das Schmuckstück des Berliner Naturkundemuseums und wird daher auch als Berliner Exemplar bezeichnet. Es wurde 1884 von Wilhelm Dames beschrieben.

Im Jahre 1956, fast 100 Jahre nach der Entdeckung des ersten Archaeopteryx-Beleges, kam ein drittes Exemplar aus den Solnhofener Schichten zum Vorschein. Das Skelett des Tieres ist jedoch stark zerfallen, Federabdrücke sind nur unscharf zu erkennen. Dieser Fund wird in der Regel auch als Maxberger Exemplar bezeichnet, da er lange Zeit im Museum des Solnhofener Aktienvereines auf dem Maxberg bei Solnhofen ausgestellt wurde. Leider wurde er 1974 von seinem Besitzer E. Optisch zurückgefordert und ist seither der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Eine Beschreibung des Maxberger Exemplares erfolgte im Jahre1959 durch Florian Heller.

Während des vergleichenden Studiums von Flugsaurierüberresten gelang es John H. Ostrom im Jahre 1970, an einem 1857 von Hermann von Meyer als Pterodactylus crassipes beschriebenen Skelettrest bei schräger Beleuchtung (Streiflicht) feinste Federabdrücke festzustellen. Pterosaurier besaßen jedoch mit Sicherheit kein Federkleid. Nähere Untersuchungen ergaben, daß es sich um die Überreste eines Archaeopteryx handelt. Das besagte Exemplar wurde 1855 in der Nähe von Riedenburg (Solnhofener Plattenkalke) geborgen und befindet sich heute im Teyler Museum in Haarlem, Niederlande. Entsprechend seines Aufbewahrungsortes wird es als Haarlemer Exemplar bezeichnet.

Das fünfte Archaeopteryx-Skelett wurde im Jahre 1951 in der Nähe von Eichstätt gefunden und zunächst fälschlich als Compsognathus longipes bezeichnet. Erst 1973 erkannte Franz Xaver Mayr dieses den Naturwissenschaftlichen Sammlungen der Diözese Eichstätt angehörige Exemplar als Archaeopteryx. Seit 1976 ist dieses Fundstück im Eichstätter Jura-Museum (Willibaldsburg bei Eichstätt) ausgestellt und wird daher als Eichstätter Exemplar bezeichnet. Es handelt sich um ein gut erhaltenes Skelett, dessen Federabdrücke kaum erkennbar sind und daher bei der anfänglichen Einordnung als Coelurosaurier keine Beachtung fanden. Die Beschreibung übernahm 1974 Peter Wellnhofer.

Im Herbst des Jahres 1987 entdeckte Günther Viohl in der Privatsammlung des Solnhofener Alt-Bürgermeisters Friedrich Müller das sechste Exemplar eines Archaeopteryx. Es handelt sich um ein ursprünglich vollständig überliefertes Skelett, welches jedoch bei der Bergung im Steinbruch Teile von Schädel, Wirbelsäule, Hinter- und Vorderextremitäten verloren hatte. Nur bei schräg einfallendem Licht sind die schwachen Abdrücke der Schäfte der Schwungfedern des linken Unterarmes zu erkennen, und so wurde auch dieses Archaeopteryx-Exemplar zunächst für einen Compsognathus gehalten. Im Vergleich zu den anderen Skelettfunden ist dieses Fundstück das Größte seiner Art. Es besitzt in etwa die Größe eines Huhnes und übertrifft somit, gemessen an der Armlänge, das Londoner Exemplar um 10 %, das Maxberger und Haarlemer um 13 %, das Berliner um 25 % und schließlich das Eichstätter um 50 %. Der genaue Fundort und das Funddatum des sechsten Archaeopteryx-Fundes sind unbekannt. Vermutlich stammt es aus der näheren Umgebung von Eichstätt. Heute ist es im Solnhofener Bürgermeister-Müller-Museum ausgestellt und wird daher auch als Solnhofener Exemplar bezeichnet. Die Beschreibung oblag Peter Wellnhofer (1988).

Das bislang jüngste Archaeopteryx-Exemplar kam im August 1992 im Steinbruch in der "Hinteren Haardt" bei Langenaltheim (in der Nähe von Solnhofen) zum Vorschein. Glücklicherweise erkannte sein Entdecker, der Steinbrucharbeiter Jürgen Hüttinger, sofort die große Bedeutung des Fundes, und so konnten sämtliche zusammengehörige Gesteinsplatten mit den recht gut erhalten gebliebenen Skelett- und Federresten geborgen werden (Abb.). Die wissenschaftliche Bearbeitung des Fundes, welcher als "Archaeopteryx des Solenhofener Aktien-Vereins" bezeichnet wird, übernahm auch hier wieder Peter Wellnhofer (1993).

 

Körperbau des Archaeopteryx. Der huhngroße Archaeopteryx, das geologisch älteste federtragende Wirbeltier, vermittelt in seinen Merkmalen zwischen zwei heute klar getrennten Tierklassen. Es besitzt Charakteristika der phylogenetisch älteren Klasse der Reptilien (Reptilia) und solche der stammesgeschichtlich jüngeren Klasse der Vögel (Aves). Archaeopteryx wird daher auch als Übergangsform, als "connecting links", bezeichnet. Sein Nachweis zu Beginn der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts bestätigte die 1859 von Charles Robert Darwin (1809 bis 1882) in seinem grundlegenden Werk "On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life" (in Deutsch: "Über den Ursprung der Arten") aufgestellte Theorie der Artänderung und damit Artneubildung im Laufe der erdgeschichtlichen Vergangenheit (siehe Exkurs: Die Darwinsche Evolutionstheorie.).

Nach der Darwinschen Entwicklungstheorie sind die Arten nicht stabil, sondern veränderten sich im Laufe einer viele Jahrmillionen währenden Entwicklung (Evolution) hin zu neuen Arten. Alle heute lebenden Organismen stammen damit von einfacher gebauten Vorfahren und letztendlich von einem gemeinsamen einzelligen Urahn, dem ersten Lebewesen überhaupt, ab. Infolge dessen muß es auch Formen gegeben haben, die zwischen zwei heute streng separierten Gruppen vermitteln und so ein gemischtes Nebeneinander von alten, ursprünglichen, und neuen, abgeleiteten Merkmalen aufweisen. Archaeopteryx ist ein derartiges Bindeglied zwischen Reptilien und Vögeln. Gemeinhin wird er auch als Urvogel bezeichnet. Anhand der näheren Beschreibung des Berliner Urvogel-Exemplares sollen die wichtigsten Charakteristika dieses eigenartigen Tieres erläutert werden (in Anlehnung an Stephan, 1987).

Bei der Betrachtung der leicht überschaubaren Hauptplatte mit dem Skelett des Archaeopteryx fallen zunächst die deutlich ausgeprägten Abdrücke des Federkleides auf. Die Konturfedern, die größten und auffälligsten Gefiederelemente, sind als Schwung-, Steuer- und Deckfedern vorhanden. An Unterarm und Hand bilden die Schwingen einen für Vögel typischen Flügel. Steuerfedern bedecken den langen Schwanz des Urvogels. Sie flankieren beiderseits die aus 21 freien, d.h. nicht miteinander verwachsenen Wirbeln bestehende Schwanzwirbelsäule. Bei modernen Vögeln verfügt die Schwanzwirbelsäule über neun bis zwölf Wirbel, von denen nur die vorderen fünf bis sieben frei beweglich bleiben, während die restlichen hinteren miteinander zu einem einheitlichen Knochenstück, dem Pygostyl, verschmelzen. Der lange knöcherne Schwanz des Archaeopteryx ist somit ein altertümliches Merkmal. Eine Versteifung im hinteren Schwanzabschnitt wird maximal durch recht lange knöcherne Wirbelfortsätze erreicht.

Die Kreuzbeinregion der Wirbelsäule des Urvogels umfaßt fünf Wirbel, wogegen es bei rezenten Vögeln 11 bis 23 sind. Im typischen Vogelbecken sind die paarigen Knochen Ilium, Ischium und Pubis miteinander und mit dem Kreuzbein zu einer stabilen Einheit, einem sogenannten Synsacrum, verwachsen. Diese Funktionseinheit fehlt Archaeopteryx noch. Bei ihm sind die Beckenknochen noch nicht knöchern, sondern eher durch Bindegewebe untereinander und mit der Wirbelsäule verbunden gewesen. Am Berliner Exemplar verläuft das Schambein parallel zum Sitzbein, zeigt also eine vogeltypische Orientierung. John H. Ostrom (1972) und Peter Wellnhofer (1985) kommen durch Vergleiche mit den anderen Exemplaren zu der Ansicht, daß es sich dabei jedoch nicht um die natürliche Lage der Pubis handelt. Nach dem Tod des Tieres (postmortal) wurde der Schamknochen etwas nach hinten verlagert und blieb in dieser Position erhalten. An der Stelle des Zusammentreffens der drei paarigen Beckenelemente, befindet sich die Ansatzstelle des Kopfes des Oberschenkelknochens.

Der Aufbau der Hinterextremitäten des Urvogels entspricht weitgehend dem Bau der Theropodenbeine. Der leicht gebogene Femur ist kürzer als der Unterschenkel. Letzterer wird von einer dickeren Tibia und einer dünneren Fibula gebildet. Das Wadenbein ist im Gegensatz zu dem moderner Vögel noch nicht verkürzt. Bei den Vögeln bildet sich durch Verschmelzung der oberen Fußwurzelknochen mit dem Schienbein der sogenannte Tibiotarsus. Dieser Zustand wurde bei Archaeopteryx noch nicht erreicht. Dafür besitzt der Urvogel schon fast einen echten Lauf (Tarsometatarsus). Während beim Berliner und Eichstätter Exemplar die drei Mittelfußknochen noch getrennt vorliegen, zeigen sie beim Londoner und Maxberger Exemplar bereits Anzeichen einer beginnenden Verwachsung, welche beim Solnhofener Fund noch weiter fortgeschritten ist. Diese Unterschiede der einzelnen Exemplare können auf alters- und wachstumsabhängige Differenzen zurückgeführt werden.

Archaeopteryx besitzt vier Zehen, welche in langen, gebogenen Krallen enden. Der kurze erste Zeh, der Hallux, besteht aus zwei Phalangen und ist nach hinten gerichtet. Er steht damit in Opposition zu den anderen drei Zehen. Die zweite Zehe verfügt über drei, die dritte über vier und die vierte über fünf Zehenglieder. Es ergibt sich somit die für Theropoden und Vögel typische Phalangenformel: 2.3.4.5.0.

Die Wirbelsäule des Archaeopteryx besteht im Rückenbereich aus 13 freien Wirbeln. Verschmelzungen in der Brustregion zu einem sogenannten Notarium, wie sie von den rezenten Vögeln bekannt sind, fehlen dem Urvogel. Darüberhinaus zeigte Friedrich Heller (1959) mittels Röntgenaufnahmen und Längsschnitten, daß sämtliche Wirbel des Archaeopteryx beiderseits nach innen gewölbte Gelenkflächen besitzen (bikonkave oder amphicoele Wirbel). Im Unterschied dazu besitzen moderne Vögel sattelförmige Wirbel.

Von den Rückenwirbeln gehen lange schlanke Rippen aus. Rippen rezenter Vögel sind kräftiger und breiter. Sie verfügen weiterhin über nach hinten gerichtete Hakenfortsätze (Processus unicatus), welche denen der Urvögel fehlen. Nach Gerhard Heilmann (1926) sind hakenartige Knorpelfortsätze annehmbar. Den Bauch des Archaeopteryx stützen v-förmige Bauchrippen, welche heutigen Vögeln fehlen und somit ein altes Reptilienerbe sind.

Am Schultergürtel des Archaeopteryx fallen die vogelartig säbelförmigen Schulterblätter auf, die mit den Rabenbeinen verbunden sind. Letztere bilden den Kontakt zum Brustbein. Beim Berliner Exemplar konnte jedoch bislang kein Sternum nachgewiesen werden. Dennoch besaßen die Urvögel, wie das Londoner Exemplar zeigt, möglicherweise doch ein kleines Brustbein. Das Sternum moderner Vögel ist dagegen ein breites gewölbtes Knochenschild, welches sich oft bis unter das Becken erstreckt und so zum Schutz der Eingeweide beiträgt.

Zum Schultergürtel heutiger Vögel gehören auch die Schlüsselbeine (Claviculae). Ihre vorderen Enden vereinigen sich vor dem Sternum miteinander, und so verschmelzen beide Claviculae zum Gabelbein (Furcula), welches beide Schultergelenke miteinander vereinigt. Diese für Vögel charakteristische Erscheinung ist bereits bei Archaeopteryx anzutreffen.

Schulterblatt und Rabenbein bilden an der Stelle ihres Zusammentreffens die Gelenkung des Oberarmknochens. Interessanterweise ähnelt die Vorderextremität des Urvogels in ihrer Ausbildung der kleinerer Theropoden, wie Deinonychus oder Ornitholestes (Abb.). Der Oberarm trägt keine Federn. Er ist auch bedeutend länger und schlanker als der Humerus moderner Vögel. An seinem vorderen oberen Ende trägt der Oberarmknochen des Archaeopteryx einen auffallenden Seitenkamm, welcher als Crista lateralis bezeichnet wird und in ähnlicher Ausführung sowohl bei einigen Theropoden wie auch bei den Vögeln zu finden ist. Er dient dem Ansatz des großen Brustmuskels (Musculus pectorialis), welcher vom Brustbein herüberzieht. Bei den Vögeln wird dieser Muskel zum wichtigsten Flugmuskel, da er die Flügel kräftig nach unten zieht. In der Mitte des großen Sternums entwickelt sich bei ihnen zum besseren Ansatz des großen Brustmuskels ein weit vorragender, kielartiger Knochenkamm, die Crista sterni. Das Vorhandensein eines derartigen Brustbeinkammes konnte für Archaeopteryx nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Im Unterarm des Urvogels sind Elle und Speiche etwa gleich stark ausgeprägt. Da an der Elle die Armschwingen des Flügels bindegewebig verankert sind, zeigt dieser Knochen bei modernen Vögeln eine deutlich kräftigere Ausbildung. Daneben finden sich an den Verankerungsstellen der Schwungfedern kleine noppenartige Erhebungen, die sogenannten Federmarken, welche bei Archaeopteryx ebenfalls noch nicht ausgebildet waren.

Wie am Berliner Exemplar deutlich zu sehen ist, liegen die Ober- und Unterarmknochen symmetrisch in v-förmiger Stellung zueinander; die Hände sind in ähnlicher Weise zur Elle hin abgewinkelt. Diese Orientierung zeigt deutlich, daß Archaeopteryx seine Flügel in typischer Vogelmanier zusammenlegen konnte.

Die ganz und gar für Vögel untypische Ausprägung der Hand des Urvogels erinnert stark an die Verhältnisse kleiner Theropoden. Die Knochen der Handwurzel sind weder untereinander noch mit den Mittelhandknochen verwachsen. Gleiches trifft für die drei Metacarpalia zu; auch sie liegen frei beweglich vor. Eventuell war die Beweglichkeit des vierten Fingers durch eine starke bindegewebige Verbindung seines Metacarpales mit dem des dritten Fingers eingeschränkt. Darauf deutet insbesondere die eigenartige Lage dieses Fingers in fast allen fossilen Belegen hin: Der vierte Finger kreuzt häufig den dritten oder befindet sich zumindest in sehr enger Beziehung zu diesem. An der Hand des Archaeopteryx sind die mittleren drei Finger erhalten geblieben, während der erste und fünfte verloren gingen. Die Zahl der Phalangen des zweiten Fingers beträgt zwei, die des dritten drei und schließlich die des vierten Fingers vier. Die Handschwingen setzen an den Phalangen des dritten Fingers an.

Die Mittelhandknochen rezenter Vögel sind miteinander und mit den äußeren Handwurzelknochen (distale Carpalia) zu einer Carpometacarpus genannten Einheit verschmolzen, welche deutlich zur Stützung des Handflügels beiträgt.. Von den inneren Carpalia sind lediglich noch zwei Elemente (Carpiulnare und Radiale) erhalten geblieben. Der zweite Mittelhandknochen trägt den stark verkümmerten zweiten Finger, welcher die knöcherne Stütze für den Afterflügel, die Alula, bildet. Der längste Finger der Vogelhand ist der dritte, wogegen der vierte am stärksten reduziert wurde.

Krallen, wie sie für Archaeopteryx noch typisch sind, finden sich bei heutigen Vögeln nur noch während der Embryogenese. Die Jungtiere des südamerikanischen Schopfhuhnes, des Hoatzins, verfügen am zweiten und dritten Finger noch über Krallen, die jedoch mit dem Erwachsenwerden verschwinden.

Bei der Erstbeschreibung des Londoner Exemplares äußerte Sir Richard Owen (1863) die Vermutung, daß die langen Röhrenknochen des Archaeopteryx durchaus wie die Knochen rezenter Vögel hohl und durch von den Lungen ausgehende Luftsäcke pneumatisiert gewesen sein könnten. Lufthaltige Knochen besitzen, meist an ihrem oberen Ende, kleine Poren (Foramina pneumatica). Bei der Untersuchung des Berliner Exemplares durch Wilhelm Dames (1884) konnte dagegen das Vorhandensein derartiger Öffnungen nicht bestätigt werden. Am Maxberger Urvogel-Exemplar wurde jedoch der Nachweis erbracht, daß die Mehrzahl der Knochen des Gliedmaßenskelettes, insbesondere die Schaftpartien, hohl sind (Heller, 1959). Poren konnten allerdings auch hier nicht gefunden werden. Möglicherweise verschwanden sie im Zuge der Fossilisation des Skelettes.

Beim Berliner Urvogel-Exemplar ist der Schädel nur in einem recht schlechten Erhaltungszustand überliefert. Insbesondere das Hinterhaupt weist enorme Beschädigungen auf. Auffällig sind die in Alveolen steckenden Zähne des Ober- und Unterkiefers. Die Oberkiefer tragen dabei insgesamt 26 Zähne, die Unterkiefer etwa 20 (beim Eichstätter Exemplar 24 Zähne im Oberkiefer, 22 im Unterkiefer). Rezente Vögel sind völlig zahnlos und besitzen einen die Kiefer bedeckenden Hornschnabel. Möglicherweise verfügte bereits Archaeopteryx über eine Hornummantellung des Schnabelrandes, welche bis an die Zähne heranreichte. Die Augenhöhlen am Urvogel-Schädel sind recht groß ausgebildet. In ihrem Innern befinden sich Reste eines Skleralringes, wie er von vielen Reptilien und Vögeln her bekannt ist.

Rezente Vögel sind in der Lage, beim Öffnen ihres Schnabels den Oberkiefer gegen die Achse der Schädelkapsel zu verschieben. Nach Gerhard Heilmann (1926) erlaubte der Schädel des Archaeopteryx solcherlei Bewegungen nicht. Voraussetzung für eine derartige Schädelkinetik ist ein gegenüber der Schädelkapsel beweglich gelagertes Quadratum. Neueren Untersuchungen durch Peter Wellnhofer (1974) und Paul Bühler (1985) zur Folge, wies der Urvogel diese Voraussetzung auf und konnte somit seinen Oberschnabel auf- und abbewegen. Wie computertomographische Untersuchungen am Schädel des Eichstätter Exemplares enthüllten, besaß Archaeopteryx bereits ein für Vögel typisches doppelköpfiges Quadratum (Haubitz & Wellnhofer, 1989).

Kenntnisse über die Gestalt des Gehirnes des Urvogels ermöglichten das Londoner und das Eichstätter Exemplar (de Beer, 1954; Wellnhofer, 1974). Archaeopteryx hatte noch ein Reptiliengehirn. Auffällig große Sehhügel (Lobi optici) deuten ebenso wie die weit geöffneten Augenhöhlen auf ein gut entwickeltes Sehvermögen. Dagegen war das Riechvermögen der Urvögel nicht besonders gut ausgeprägt, wie die schwach entwickelten Riechlappen (Lobi olfactorii) zeigen.

 

Urvogel-Ahnen. Der Urvogel steht stammesgeschichtlich zwischen den Reptilien und den Vögeln. Aus welcher Reptiliengruppe ist er hervorgegangen?

Wie Entdeckungsgeschichte der Archaeopteryx-Funde, insbesondere die des Eichstätter und Solnhofener Exemplares, zeigt, würden sie ohne die hilfreichen Federabdrücke als kleine Coelurosaurier eingeordnet werden. Auf die strukturellen Ähnlichkeiten der Urvögel mit den Dinosauriern wiesen bereits Gegenbaur (1863), Edward Drinker Cope (1867) und Thomas H. Huxley (1868, 1870) kurz nach Bekanntwerden des ersten Skelettrestes hin. Huxley machte vor allem auf den kleinen, durch seinen grazilen Körperbau recht vogelähnlichen Theropoden Compsognathus aufmerksam, welcher sympatrisch mit Archaeopteryx existierte. So konnte dieser Dinosaurier zwar nicht als direkter Urvogel-Vorfahre gelten, aber immerhin als ein sehr naher Verwandter.

Zu ähnlichen Feststellungen gelangt auch Gerhard Heilmann in seinem bedeutenden Buch "The Origin of Birds" (1926). Allerdings verweist er auf das Vorhandensein einer Furcula bei Archaeopteryx. An Dinosaurierskeletten hatte man jedoch zur damaligen Zeit noch keine Schlüsselbeine nachgewiesen und so glaubte man, daß sämtliche Schreckensechsen ihre Claviculae reduziert hatten. Tiere, denen die Schlüsselbeine fehlen, können jedoch nicht Vorfahren von Formen sein, deren Claviculae zum Gabelbein verwachsen sind. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß trotz gewisser Ähnlichkeiten zwischen Vögeln und Theropoden erstere nicht von letzteren abstammen können. Die Urahnen der Vögel müssen somit innerhalb der Archosaurier-Gruppen gesucht werden, deren Vertreter noch über Schlüsselbeine verfügten. Die vorhandenen Ähnlichkeiten im Skelettbau des Urvogels mit dem des Compsognathus führte Heilmann auf gleichartige Lebensbedingungen, also auf Konvergenz, zurück.

Auf der Suche nach möglichen Vogelvorfahren unter den frühen Archosauriern stieß Heilmann auf den Thecodontier Euparkeria aus der unteren Trias Südafrikas. In dieser und anderen nahestehenden Formen glaubte Heilmann die hinreichend ursprünglichen Skelettmerkmale gefunden zu haben, die als Ausgangspunkt der Evolution sowohl der Vögel wie auch der Dinosaurier, Flugsaurier und Krokodile gelten können. Damit werden die Vögel zur Schwestergruppe aller abgeleiteten Archosaurier. Diese Ansicht der Ableitung der Vögel von einer bestimmten Thecodontier-Gruppe (Pseudosuchia) blieb bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts unangefochtene Lehrmeinung.

John H. Ostrom (1973, 1976) verweist nach gründlichem vergleichenden Studium sämtlicher damals bekannter Archaeopteryx-Exemplare und vieler anderer kleiner Theropoden, wie beispielsweise Deinonychus, Coelurus, Ornitholestes und natürlich Compsognathus, erneut auf die sehr enge Verwandtschaft der Vögel mit den theropoden Dinosauriern. Zur Untermauerung seiner Theorie zählt er 21 Merkmale auf, die die Urvögel mit den Theropoden gemeinsam haben. Sie betreffen u.a. den Bau des Schädels, der Gliedmaßenknochen und -gürtel sowie die Zahl und Struktur der Wirbel in den einzelnen Abschnitten. Mittlerweile gelang auch der Nachweis vorhandener Schlüsselbeine bei vielen Coelurosauriern (Caenagnathidae und Ornithomimidae nach Barsbold, 1983) und selbst bei Carnosauriern (z.B. Allosaurus nach Thulborn, 1984). Aus dem Nichtvorhandensein eines Merkmales im fossilen Beleg kann daher nicht zugleich auf dessen tatsächliches Fehlen am lebenden Tier geschlossen werden.

Die großen Ähnlichkeiten im Skelettbau einiger Theropoden, wie Ornitholestes oder Deinonychus, mit Archaeopteryx deuten nach Ostrom auf eine direkte Entwicklung der Vögel aus den Theropoden hin. Als wichtigste abgeleitete Merkmale der Vögel müssen die Befiederung und das aus der Verschmelzung beider Schlüsselbeine hervorgegangene Gabelbein angesehen werden. Sollte die eingangs geäußerte Annahme eines Federkleides bei Theropoden (u.a. Bakker, 1975; Thulborn, 1984, 1985, 1987) zutreffen, entfällt das Charakteristikum der Befiederung zur Kennzeichnung der Vögel. Die bei einigen Dinosauriern nachgewiesenen Claviculae zeigen ihrerseits bereits die Verhältnisse einer Furcula. Damit ist auch dieses Merkmal hinfällig und Archaeopteryx wird letztendlich zu einem befiederten Dinosaurier. Die Vögel sind damit phylogenetischer Bestandteil der Theropoden. Sie bilden in dem von RobertT. Bakker & Peter M. Galton (1974) aufgestellten System der Klasse Dinosauria die Unterklasse Avialae. Unsere heutigen Vögel sind in diesem Sinne lebende Dinosaurier (Gauthier, 1986), welche zum Fliegen übergingen.